Rüsselsheim ist besser als sein Ruf! Eine gewagte These, wirft man nur einen Blick auf die Kommentarspalten der sozialen Medien, die oftmals das Bild einer gefährlichen und kriminellen sowie hässlichen und verdreckten Stadt vermitteln. Rüsselsheim sei demnach nur noch ein bloßer Schatten der einst so großen Arbeiterstadt mitten im Rhein-Main-Gebiet. Man warte eigentlich nur noch auf den großen Knall oder man rettet sich noch auf die Schnelle in einen sicheren Hafen – Hauptsache weg!
Doch der Knall lässt auf sich warten und die Bevölkerungszahl wird nicht kleiner, sondern wächst. Es sollen neue Stadtbezirke entstehen, um den Zuwachs auffangen zu können. Das entspricht überhaupt nicht dem gezeichneten Bild des allmählichen Niedergangs.
Und noch kurioser: Es gibt Menschen, die gerne in dieser Stadt leben, die ihre Stadtbezirke lieben, auch wenn diese mal schnell als kriminelle Hotspots verschrien werden.
Diesen Menschen wird hier eine Plattform geboten. Sie zeigen, dass die Rüsselsheimer*innen sich für ihre Heimatstadt nicht schämen müssen. Sie füllen mit ihren Geschichten und Beiträgen dieses Kunstprojekt: Den Walk of/f Shame.
walk of shame = Weg der Scham
walk off shame = die Scham abschütteln
[Stella]
Denen es genauso geht
„Gar nicht schlecht für Rüsselsheim!“ – „Schön, oder? Vor allem für Rüsselsheim…“ – „Das erwartet man ja gar nicht in Rüsselsheim!“ Kaum ein:e Rüsselsheimer:in, dem oder der diese Sätze nicht schon mal so oder so ähnlich untergekommen sind. Vielleicht einige, die sie selbst schon gesagt haben. Ich gehöre auch dazu.
In meiner Heimatstadt herrscht ein kollektives Kleinmachen. Ein Verhaltensmuster der Bürger:innen, das vergleichbar ist mit der Selbstsabotage bei Komplimenten („Das alte Teil?! Das ist ja nur vom Flohmarkt…“) – nur geht es hier um die erlernte, zu wenig hinterfragte Herabwürdigung einer Stadt, die mehr verdient hat. Eine Stadt, die an sich selbst und ihrem Wandel wachsen kann und wird, denn hier gibt es enorm schöne Ecken, charmanten Siff und einen Reichtum an Kultur(en), der noch viel zu wenig Wertschätzung erfährt.
Vor allem aber gibt es hier Leute, die genuin interessiert sind an ihrer Stadt, die Konsens und Kontakt finden möchten. Solche, die trotz Differenzen – welcher Art auch immer –, Hand in Hand arbeiten wollen. Die hiergeblieben sind, wieder her gekommen sind, um das Stadtbild mitzugestalten. Klar, es gibt ziemlich viel zu tun, aber auch das, was schon da ist oder gerade entsteht, leuchtet schon jetzt, gehört zu einer langen Lunte, die nach und nach Feuer fängt. Und selbst das, was dreckig ist, gehört zum Charakter dieser Stadt, darf nicht ausgeschlossen oder aufpoliert werden, damit es in eine Vorstellung passt. Ich könnte in Hamburg sein. In Köln. In Weimar. Anderswo. Aber stattdessen bin ich hier, weil ich diese Stadt mag, weil ich es hier toll finde, weil eine Stadt im Umbruch eine spannende Stadt ist. Weil ich weiß, dass wir viele sind, denen es genauso geht.
Und genau das werde ich in Zukunft sagen, wenn jemand überrascht ist, wie schön es in Rüsselsheim ist.
[Helma]
Warum ich gerne in Rüsselsheim lebe
Seit 1961 lebe ich in Rüsselsheim, als mein Vater über die Firma Opel eine Mietwohnung bekommen hat. Ich bin hier zur Schule gegangen und aufgewachsen. Sicher hatte die Innenstadt von Rüsselsheim früher mehr Charme, den Marktplatz mit dem Bushäuschen, es gab noch viele schöne Geschäfte und sogar einen Bauernhof in der Ochsengasse.
Seit 1984 lebe ich zuerst mit meiner Familie, jetzt mit meinem Mann am Rande der A-Siedlung. Gerade hier in den Siedlungen ist Rüsselsheim liebenswert. Es gibt zwar keine Tante Emma Läden mehr, wie ich sie früher auf meinem Schulweg zur Friedrich-Ebert-Schule immer gesehen habe, aber es gibt noch vereinzelt die alten ursprünglichen Siedlungshäuschen mit den schönen großen Gärten, auch wenn es immer weniger werden. Es ist gemütlich, durch die kleinen engen Straßen zu schlendern und zu schauen, ob es etwas Neues zu entdecken gibt und was sich gerade verändert.
Nicht zu übertreffen ist die Freundlichkeit der Menschen, die in den beiden Siedlungen wohnen. Im Laufe der Jahre habe ich viele von Ihnen kennengelernt, an der Bushaltestelle oder wenn ich mal mit dem Hund meiner Tochter Gassi gegangen bin. In der B-Siedlung gibt es das Blumengeschäft meiner Freundin, auch ein „Herzstück“ der Siedlung, da kommen auch mal die Anwohner rein zu einem kleinen Schwätzchen oder, um zu fragen was sie heute kochen sollen.
Sicher hat die Stadt einiges mehr zu bieten, wie den Verna Park, die Opelvillen und die Festung, aber wenn man sich auf die Stadt einlässt findet man diese Stellen, die Rüsselsheim liebenswert machen auch abseits davon.
Es gibt natürlich auch diese „Negativschlagzeilen“, wenn wieder mal etwas passiert ist, aber mal ehrlich gesagt, die gibt es über andere Städte mit der Struktur, wie Rüsselsheim sie hat, auch. Die Bewohner werden sich ähnlich fühlen, wie die Rüsselsheimer wenn sie nach ihrem Wohnort gefragt werden.
[Andrea]
Egal ob Stockstraße oder Robert-Bunsen-Straße
Ich lebe ja schon immer in Rüsselsheim.Sogar im gleichen Viertel, der gleichen Straße, dem gleichen Haus.
Ich bin hier aufgewachsen, habe irgendwie die Schulen überlebt. Bin zu jeder Tages- und Nachtzeit jede Straße hier gegangen, die zum Ziel führte. Egal ob Stockstraße oder Robert-Bunsen-Straße. Oft allein, aber Angst hatte ich nie.
Dann ein paar Jahre habe ich mich nicht wirklich „aufgehalten“ in der Stadt. Freizeit fand woanders statt. Aber gearbeitet habe ich in Königstädten, in der Kita der WfB.
Dann kam mein Sohn zur Welt. Ich fing an, mich wieder mehr hier umzuschauen. Und habe alles gefunden, was ich suchte. Babyschwimmen, Spielgruppe, Kinderarzt.
Mein Sohn hat hier auch die Schulen geschafft und zumindest zum Schluss eine wirklich tolle gefunden. Auch er ist von kleinauf viel zu Fuß und alleine unterwegs in dieser „kriminellen“ Stadt gewesen, ohne irgendwelche Vorkommnisse.
Ich habe inzwischen hier viele spannende Dinge entdeckt und erlebt. Tolle Menschen kennengelernt.
Nur von der Lokalpolitik und der Möchtegern-Lokalpolitik sollte man sich fernhalten…und von lokalen FB-Gruppen!…ist schlecht für die Nerven.
[Wolfgang]
Der Weg am Horlachgraben ist ein Traum
Zum einkaufen, Apotheke, Bank, Friseur etc. sind es 2 Minuten mit dem Fahrrad. Nebenan der Ostpark, Kletterpark, Biergarten. 5 Minuten mit dem Rad zum „Waldi“ (Waldschwimmbad). Viele aus Rhein-Main kommen hierher, weil es ein superklasse Schwimmbad mit natürlichem Wasser und bescheinigter 1A Wasserqualität ist.
Der Weg am Horlachgraben ist ein Traum, sonntags mit Halt am Naturfreundehaus. Dort fairen Kaffee und Kuchen vom hiesigen Bäcker. Ab und zu dort auch klasse Veranstaltungen auf der Waldbühne.
Unser tolles Theater und VHS mit Bücherei.
Kurze Wege nach Frankfurt, Wiesbaden, Mainz und Darmstadt.
Soviel aus der Umgebung in Haßloch-Nord. Die Bewohner anderer Stadtteile können sicher ähnliche Beiträge bringen, ich wollte mich aber kurz fassen.
[Cedric]
Meine Stadt
Rüsselsheim am Untermain
hier bin ich geboren, hier bin ich daheim,
schlendere beschwingt durch Deine Gassen,
sehe Brachen, Wettshops, Automassen.
Graue Autostadt im Grünen
keiner will Dir wirklich dienen.
Mainz, Frankfurt, Darmstadt wunderbar,
dazwischen Du und doch nicht da.
Multikulti Motorcity.
Sprachgewirr: Deutsch, Türkisch, Hindi:
Vielfalt kann auch Chance sein –
hier schlägt mein Herz, hier will ich sein!
[Gabi]
Wenn es schön aussieht
Ich mag an Rüsselsheim, dass Unkraut einfach mal stehen gelassen wird, wenn es schön aussieht.
[Nadja Maria]
Mein Rüsselsheim, mein Haßloch-Nord, meine Heimat
Mich hat es vor knapp 28 Monaten nach Haßloch-Nord verschlagen. Ganz ehrlich, mein Traum war es nie in Rüsselsheim leben zu wollen, doch ich bin hier sowas von angekommen. Fühle mich hier zwischen Ostpark, dem alten Horlachgraben und dem Waldschwimmbad pudelwohl. Die tolle Nachbarschaft und Nachbarschaftshilfe begeistert mich noch immer – bin hier zu 110% angekommen. Rüsselsheim hat so viele schöne Seiten und auch viele nette und hilfsbereite Menschen habe ich hier kennengelernt. Mein Rüsselsheim, mein Haßloch-Nord, meine Heimat.
FAQ
Was soll der Walk of/f Shame bezwecken?
Der Walk of/f Shame soll den Rüsselsheimer*innen eine Plattform bieten, auf der sie darüber berichten, warum sie gerne in Rüsselsheim leben. Angesichts der oftmals negativen Äußerungen – auch in den Sozialen Medien – über die Stadt, die gerne lauter wahrgenommen werden, ist der Walk of/f Shame das genaue Gegenteil zu diesem negativen Image.
Woraus besteht der Walk of/f Shame?
Der Walk of/f Shame besteht aus zwei Teilen. Zum einen aus dieser Website, auf der Beiträge von Rüsselsheimer*innen gesammelt werden, die über das positive Bild der Stadt berichten. Zum anderen besteht der Walk of/f Shame aus farbigen Linien, die im Stadtgebiet verteilt sind und auf das Projekt hinweisen.
Wo waren die Linien zu finden und wie viele waren es?
Die Linien befanden sich in den Stadtteilen und -bezirken Rüsselsheims. Wie viele Linien es waren und wo genau sie lagen, bleibt geheim. Grund genug sich auf die Suche danach zu begeben und gleichzeitig die Stadt zu erkunden.
Ist das nicht Vandalismus? Entstehen dadurch Schäden?
Nein, die Orte der Linien sowie die Farbe wurden mit den städtischen Ämtern abgestimmt und genehmigt. Es handelte sich um umweltverträgliche Kreidefarbe, die sich nach einigen Wochen durch die Witterung von selbst löst.
Ich möchte mehr über den Walk of/f Shame erfahren.
Alle Fragen kannst Du gerne an info@walk-off-shame.de senden. Diese werden schnellstmöglich beantwortet.
Wurde der Walk of/f Shame von der Stadt Rüsselsheim gefördert?
Ja, der Walk of/f Shame wurde mit Fördermitteln der städtischen Kultursteuerung finanziell unterstützt. Für Materialien sowie das Webhosting betrug die Fördersumme 454 €.